Erasmus+ ist ein Programm der EU, das zum Ziel hat, die schulische, berufliche und persönliche Entwicklung von Menschen in Europa zu fördern. Bekannt ist es an unserer Schule vor allem durch die Austausche, die im Beruflichen Gymnasium jährlich mit Partnerschulen durchgeführt werden. Dass auch die Möglichkeit besteht, im Rahmen der beruflichen Ausbildung ein Quartal in einem Betrieb in einem anderen Land zu verbringen, wissen nur wenige. Einer unserer Schüler, Matthias Schneider, macht gerade eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker und nahm im letzten Halbjahr an diesem Programm teil. Über seine Eindrücke berichtet er in einem selbstverfassten Interview:
Wie bist du auf die Idee gekommen, an einem Austauschprogramm im Rahmen der Erasmusinitiative teilzunehmen?
Im zweiten Jahr meiner Ausbildung hatte ich Englischunterricht bei Herrn Hülsemann, der gerade gemeinsam mit Frau Künzel die Erasmus-Austauschprogramme des Beruflichen Gymnasiums koordinierte. Herr Hülsemann, ein großer Frankreich-Fan, hat mich davon überzeugt, dieses Land im Rahmen des Programms kennenzulernen.
Wie gut konntest du Französisch, als du deine Reise angetreten hast?
Ich hatte im Vorfeld versucht, mit einer Sprachlernapp Französisch zu lernen, da ich es in der Schule nicht gelernt habe. Das hat nicht sehr gut geklappt. Ich habe letztlich erst in Frankreich die ersten Sprachkenntnisse erworben. So wurde das Ganze zu einem Lerning-by-doing. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie wichtig gute Sprachkenntnisse sind, weil sich Menschen ganz anders verhalten, wenn du ihre Sprache sprichst. Umgekehrt merkte ich auch, wie sich Menschen mit begrenzten Sprachkenntnissen fühlen müssen. Ich werde von nun an nie wieder jemanden mit schlechten Deutschkenntnissen einfach als dumm oder faul abstempeln, weil eine Sprache gut zu sprechen tatsächlich eine der schwersten Sachen überhaupt ist.
Wie war dein erster Eindruck von Bordeaux und dem Unternehmen?
Bordeaux ist eine wunderschöne Stadt und natürlich berühmt für ihren Wein. Aber auch meine Begegnungen und mein Ausflug zu Meer haben mir in meiner Freizeit ein starkes Urlaubsgefühl gegeben. Das Unternehmen ist ein kleiner, familiärer Betrieb mit einem jungen Team mit Mitarbeitern unterschiedlichster Herkunft. Generell war bemerkenswert, wie viele Gemeinsamkeiten doch zwischen den Arbeitskulturen existierten. Das fängt beim Kaffee am Morgen an, geht bei bekannten Werkzeugmarken und Baustellenfahrzeugen weiter und auch die Baustellen selbst ähneln sich in Struktur und Organisation sehr. Der Umgang unter den Gewerken untereinander war dort extrem freundlich und respektvoll, was mir sofort das Gefühl gab, nicht nur in meinem Betrieb, sondern auch auf den Baustellen Teil der Gemeinschaft zu sein.
Kannst du uns mehr über deine täglichen Aufgaben und Tätigkeiten im Unternehmen erzählen?
Ich habe in Frankreich ganz normal gearbeitet, also die Inhalte, die ich im Rahmen meiner Ausbildung gelernt habe, auf der Baustelle angewendet. Wir sind morgens in der Firma in den Bus gestiegen und dann zur Baustelle gefahren, um dort gemeinsam Technische Systeme zu installieren. Das schön daran war, dass ich hier in einem komplett neuen Umfeld arbeiten durfte, ohne dass Erwartungen an mich gestellt wurden. So hatte ich auch mal wieder Zeit zu merken, was ich denn alles schon kann.
Was waren die größten Herausforderungen, denen du während deines Praktikums begegnet bist?
Die Sprachbarriere war natürlich die Herausforderung Nummer eins. Ich habe die erste Woche täglich gut eine Stunde investiert, Vokabeln zu notieren und zu lernen. Grandios ist, dass man mit den heutigen digitalen Übersetzungsmöglichkeiten wirklich fast in Echtzeit die Dinge um sich herum in die eigene Sprache übersetzen kann. Das hat in vielen Situationen sehr geholfen. Trotzdem war das erste Mal alleine in Paris die richtige U-Bahn-Station zu finden und ein Ticket zu kaufen eine der größten Herausforderungen. Ansonsten ist natürlich auch das Knüpfen von neuen Kontakten immer so eine Sache. Da habe ich aber das Glück gehabt, dass ich in einer Art WG gewohnt habe und so direkt Mitbewohner hatte, mit denen ich dann gemeinsam Dinge unternehmen konnte. Das würde ich auch jedem empfehlen, auch wenn ich am Anfang Sorge hatte, war das mit eine der besten Entscheidungen.
Wie hat sich das Arbeiten in einem familiären Betrieb auf deine Erfahrung ausgewirkt?
Für mich war diese Erfahrung völlig neu, da ich aus einer sehr großen Firma in Deutschland komme. Zuhause läuft alles sehr professionell ab, die Baustellen, aber auch die Konkurrenz ist sehr groß. In so einem kleinen 5-Mann-Unternehmen hat man natürlich einen viel stärkeren Zusammenhalt. Das war eine sehr schöne Erfahrung, die sich vor allem auch nach der Arbeit, wenn man dann noch in der Firma beim gemeinsamen Bier zusammensitzt oder jemand den Flipperautomaten angestellt hat.
Welche Unterschiede in der Arbeitskultur zwischen Frankreich und deinem Heimatland sind dir besonders aufgefallen?
Neben den Menschen, die ich mehrheitlich als sehr angenehm empfunden habe, war es vor allem interessant zu sehen, wie Bordeaux selbst dafür gesorgt hat, sich als Stadt zu erhalten. Als gebürtiger Wetzlarer kann ich ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, einen Stadtkern, wie zum Beispiel den Domplatz, lebendig zu halten. Bordeaux hat aber früh erkannt, welche Orte unterstützt werden müssen, und hat in diese massiv investiert. So wurde zum Beispiel der alte Hafenbereich zu einem Zentrum für kulinarische Spezialitäten umgebaut, es wurden überall große Parks und kostenlose, hygienische Toiletten in die Stadt gesetzt, sodass man einfach gerne in der Stadt unterwegs ist. Das fand ich sehr beeindruckend.
Inwiefern hat dieses Austauschprogramm deine beruflichen Pläne oder deine Sicht auf die Zukunft verändert?
Ich habe gelernt, dass man mit einem Ausbildungsberuf überall Fuß fassen kann. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich jederzeit nach Frankreich zurückkehren könnte. Diese Sicherheit und Flexibilität sind das Wichtigste, was ich aus dem Austausch mitgenommen habe. Es hilft vor allem auch, sich weniger Sorgen über die Arbeit zu machen.
Würdest du anderen Schülern empfehlen, an einem ähnlichen Austauschprogramm teilzunehmen, und wenn ja, warum?
Absolut! Dieses Programm ermöglichst euch tolle Erfahrungen und Kontakte und es ist für deinen Betrieb und dich selbst komplett kostenlos, da du für die Zeit des Austausches vollständig von der EU bezahlt wirst. Da sind Unterkunft und Reise inbegriffen. Wendet euch an eure Klassenleitung oder direkt an Herrn Hülsemann oder Frau Künzel – der Aufwand lohnt sich auf jeden Fall.